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Corona-Aufarbeitung: Sozialstaat am Limit. Wer sind die Verlierer?

Die Corona-Krise war nicht der große Gleichmacher. Im Gegenteil: Wer wenig hatte, verlor am meisten. Die tiefen sozialen Risse könnten uns noch lange begleiten, wie Forschende der Hans-Böckler-Stiftung in einem neuen Buch im Campus Verlag berichten.

Die Corona-Pandemie hat nicht nur die Medizin und die Pharmazie, sondern auch den deutschen Sozialstaat auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Zwar haben Hilfen der Regierung viele Beschäftigte vor dem finanziellen Ruin bewahrt. Nur sind etliche Menschen durch das Raster gefallen.

Eine Analyse von Bettina Kohlrausch, Eileen Peters und Karin Schulze Buschoff zeigt: Die Pandemie hat soziale Ungleichheiten nicht nur offengelegt, sondern auch verstärkt – mit langfristigen Folgen für Arbeit, Einkommen, Geschlechterrollen und das Vertrauen in die Politik.

Sicherheit für einige, Absturz für andere

Die Details: Beschäftigte in Vollzeit konnten dank des Kurzarbeitergelds einigermaßen abgesichert werden, insbesondere, wenn Unternehmen die Leistung aufstockten. Doch für Selbstständige, geringfügig Beschäftigte und für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sah es düster aus. Während das Kurzarbeitergeld von 60 % auf bis zu 80 % des letzten Nettolohns erhöht wurde (bei Eltern auf bis zu 87 %), erhielten Selbstständige deutlich seltener finanzielle Unterstützung.

Armut verfestigt sich

Während die Bundesregierung mit Entlastungspaketen versuchte, wirtschaftliche Härten abzufedern, traf die Krise ohnehin schon marginalisierte Gruppen am härtesten:

  • Menschen mit geringem Einkommen, niedriger Bildung und unsicheren Arbeitsverhältnissen,
  • Alleinerziehende, insbesondere Frauen,
  • Rentnerinnen und Rentner mit kleiner Rente.

63 % der dauerhaft Armen gaben an, von den Krisen der letzten Jahre stark betroffen zu sein, verglichen mit 23 % der Mittelschicht und nur 10 % der Besserverdienenden. Die Pandemie hat die bestehende soziale Schieflage also weiter verschärft.

Frauen leisten mehr Sorgearbeit und bleiben benachteiligt

Ein weiteres, wenig überraschendes Ergebnis des Reports: Während des Lockdowns übernahmen Frauen den Großteil der zusätzlichen Betreuungsarbeit, da Schulen und Kitas geschlossen waren. Zwar engagierten sich Väter zu Beginn stärker, doch dieser Trend erwies sich als kurzlebig. Die traditionelle Rollenverteilung setzte sich durch, Mütter waren am stärksten belastet.

Noch gravierender: Unbezahlte Sorgearbeit spielte in der sozialstaatlichen Absicherung kaum eine Rolle. Frauen übernahmen also mehr Verantwortung, wurden dafür aber finanziell und gesellschaftlich kaum entlohnt.

Weniger Ausbildungsplätze, schlechtere Perspektiven für junge Menschen

Nicht nur Kitas und Schulen wurden von den Corona-Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen – auch die berufliche Ausbildung geriet unter Druck. In besonders betroffenen Branchen haben Firmen weniger Ausbildungsplätze angeboten, sodass die Zahl junger Erwachsener ohne Berufsabschluss während der Pandemie stark angestiegen ist. 2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren waren im Jahr 2021 ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Vertrauensverlust in die Politik – eine unterschätzte Langzeitfolge

Mit den Zukunftssorgen und den finanziellen Sorgen wuchs auch die Unzufriedenheit mit der Politik. Anfangs hatten noch 21 % großes oder sehr großes Vertrauen in die Regierung, doch bis November 2023 sank dieser Wert auf nur noch 10 %.

Laut den Forschenden könnte der massive Vertrauensverlust in demokratische Institutionen die wohl schwerwiegendste und nachhaltigste Folge der Pandemie sein – besonders in einer Zeit, die ohnehin von multiplen Krisen geprägt ist. Die Herausforderungen, die Corona für den Sozialstaat aufgedeckt hat, werden Deutschland noch lange beschäftigen.

Michael van den Heuvel

Quellen