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10 Jahre gesetzlicher Mindestlohn: Erfolgsmodell mit Nachbesserungsbedarf

Am 1. Januar 2015 wurde in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn eingeführt – eine sozialpolitische Maßnahme, die sich klar als Erfolg bewerten lässt. Die Löhne im unteren Einkommensbereich sind gestiegen und die Lohnungleichheit hat sich verringert. Trotz dieser positiven Bilanz nach zehn Jahren bleibt ein zentrales Problem: Der Mindestlohn liegt noch immer deutlich unter dem Niveau, das nötig wäre, um ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung. 

Kaum ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vorgestellt, streiten sich Union und Sozialdemokraten um die Höhe des Mindestlohns. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte gesagt: „Der Mindestlohn wird im Jahr 2026 auf die 15 Euro steigen (…).“ CDU-Chef Friedrich Merz widersprach umgehend. Die Diskussion ist in vollem Gange. 

Bis Ende Juni 2025 soll die Mindestlohnkommission festlegen, wie hoch der Wert in den kommenden zwei Jahren ausfallen wird. Anders als bisher soll sich die Erhöhung nicht mehr ausschließlich an der Tarifentwicklung orientieren. Stattdessen ist vorgesehen, den Mindestlohn schrittweise an 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten heranzuführen: ein Zielwert, der sowohl international als auch durch die europäische Mindestlohnrichtlinie gestützt wird. 

Was genau macht die Mindestlohnkommission? 

Die Mindestlohnkommission ist ein unabhängiges Gremium, das darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang der gesetzliche Mindestlohn angepasst werden soll. Sie wurde im Jahr 2015 eingerichtet und hat die Aufgabe, alle zwei Jahre eine Empfehlung zur Höhe des Mindestlohns abzugeben. 

Zusammengesetzt ist die Kommission aus neun Mitgliedern: je drei Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften sowie einer oder einem unabhängigen Vorsitzenden. Ergänzt wird das Gremium durch zwei beratende Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler ohne Stimmrecht. Die Mitglieder werden von der Bundesregierung für eine Amtszeit von fünf Jahren berufen.

Die Mindestlohnkommission trifft ihre Entscheidungen im Konsens – also nur, wenn Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie der Vorsitz zustimmen können. Die Bundesregierung übernimmt die Empfehlung in der Regel per Verordnung, kann jedoch im Ausnahmefall davon abweichen.

Mindestens 15 Euro wären angemessen

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben Details untersucht. Um das 60-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste der Mindestlohn 2026 bereits bei etwa 15 Euro liegen. Je nach Simulation ergeben sich Werte zwischen 14,88 Euro und 15,02 Euro. Für das Jahr 2027 steigen die Werte auf bis zu 15,48 Euro. Zum Vergleich: Der aktuelle Mindestlohn liegt bei lediglich 12,82 Euro. 

Ein zweistufiges Verfahren als Lösung

Die Expertinnen und Experten schlagen für die Anpassung ein zweistufiges Verfahren vor. Zunächst soll sich die Erhöhung an der realen Lohnentwicklung der vergangenen zwei Jahre orientieren. Dann folgt eine zusätzliche Komponente, um die Differenz zum 60-Prozent-Ziel schrittweise zu schließen. 

Die Mindestlohn-Kommission hätte jetzt also die Chance, sich neu zu positionieren – weg vom passiven Abbilden von Tarifentwicklungen hin zu einer aktiven Rolle in der Armutsvermeidung und Einkommenssicherung. 

Denn der Blick zurück zeigt: Die bisherigen Erhöhungen des Mindestlohns haben kaum mehr getan, als die Inflation auszugleichen. Reale Lohnzuwächse blieben aus. Erst die gesetzlich durchgesetzte Anhebung auf zwölf Euro im Oktober 2022 brachte eine Trendumkehr. Doch auch damit lag Deutschland international nur im Mittelfeld. 

Trotz aller Kritik: Der Mindestlohn – ein Erfolgsmodell

Bleibt als Fazit: Die Einführung des Mindestlohns war eine sozialpolitische Erfolgsgeschichte. Vor allem Beschäftigte im unteren Lohnsegment profitierten. Die Stundenlöhne sind spürbar gestiegen, insbesondere bei Frauen und in Ostdeutschland. Der Mindestlohn wirkte damit auch gegen geschlechterspezifische und regionale Ungleichheit. Er förderte den Übergang von Minijobs in reguläre Beschäftigung und hatte keine nennenswert negativen Effekte auf die Beschäftigung insgesamt. 

Alles in allem wirke der Mindestlohn, aber er müsse weiter steigen, um seine volle sozialpolitische Kraft zu entfalten, so die Einschätzung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Neuausrichtung der Mindestlohnkommission sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Michael van den Heuvel

Quellen

Malte Lübker, Thorsten Schulten, Alexander Herzog-Stein: 10 Jahre Mindestlohn: Bilanz und Ausblick. Gemeinsame Stellungnahme von WSI und IMK anlässlich der schriftlichen Anhörung der Mindestlohnkommission 2025, HBS Policy Brief Nr. 88, März 2025, online

Löhne: Der Mindestlohn wirkt – ist aber zu niedrig. Böckler Impuls, Ausgabe 06/2025, online