14. November 2024
Entgeltgleichheit – mehr als ein Wunschtraum? Warum der Gender Pay Gap in Deutschland nicht schrumpft
Der Abstand zwischen den Geschlechtern beim Arbeitseinkommen ist hierzulande im europäischen Vergleich „konstant hoch“. Die Gründe für diese Misere, aber auch Maßnahmen, wie das Problem in anderen Ländern erfolgreich angegangen wurde, zeigt ein neuer Bericht der Wirtschaftswissenschaftlerin Andrea Jochmann-Döll auf.
Die Studie der Expertin ist Teil eines Projekts zum Stand der Entgeltgleichheit in den nordischen Staaten und in Deutschland. Initiiert wurde es vom Rat der nordischen Gewerkschaften, der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem DGB. Neben der Auswertung von Literatur hat Jochmann-Döll auch mit den Verantwortlichen für Frauen- und Gleichstellungspolitik von DGB-Gewerkschaften gesprochen.
Lohnlücke und Geschlechter-Stereotype
2022 verdienten Männer im Durchschnitt 4,46 Euro mehr pro Stunde, ein Unterschied von 18 Prozent. Jochmann-Döll hält unzureichende gesetzliche Regelungen, aber auch fehlende Sanktionen für maßgeblich. Zwar ist seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz in Kraft, doch ist es zwei Drittel der Beschäftigten offenbar nicht bekannt. Ihren Anspruch genutzt haben sogar erst vier Prozent.
Die ungleiche Bezahlung sei auch ein Ausdruck hartnäckiger Geschlechterbilder und Stereotype zu den Berufen, die sich dann auch in der entsprechenden Berufswahl ausdrücken. Ein Blick auf die Zahlen: 2022 waren von 14 Berufssegmenten sieben männerdominiert. Drei Segmente hatten dagegen einen Frauenanteil von mehr 70 Prozent: die Gesundheitsberufe, soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe sowie Reinigungsberufe. An dieser Ungleichverteilung habe sich seit 2013 wenig geändert, so der Bericht.
Ein erschreckender Befund der Autorin: Frauen in atypischen, also männlich dominierten Berufen würden auch heutzutage oft diskriminiert. So würden in Stellenangeboten und Einstellungsverfahren Vorurteile formuliert und transportiert. Sogar beim Dating ständen ihre Chancen schlechter, wie eine aktuelle Studie ergeben habe.
Gender Care Gap
Neben geschlechtsspezifischen Entscheidungen und Chancen auf dem Arbeitsmarkt stellt auch die häusliche Sorgearbeit ein Hemmnis für die beruflichen Gleichberechtigung dar. Denn mit knapp 30 versus 21 Stunden unbezahlter Familien- und Hausarbeit betrug der Gender Care Gap im Jahr 2022 immer noch 44 Prozent.
Nicht zuletzt führt die ungleiche Bezahlung auch dazu, dass Frauen beruflich zu Beginn der Familienphase eher zurückstecken. Ehegattensplitting und die Steuerklassen 3 und 5 sind dann weitere Gründe, warum der Wiedereinstieg später und langsamer erfolgt.
Die gläserne Decke
In deutschen Unternehmen ist für Frauen auch das Erreichen von Führungs- und Top-Positionen im Management nach wie vor besonders schwierig. Lediglich in den Aufsichtsräten hat u. a. die gesetzliche Quote für eine Besserung gesorgt.
Jochmann-Döll kritisiert hier gängige Klischees, die Führungskompetenz und strategisches Denken eher bei Männern als bei Frauen verorten würden, aber auch die bestehenden Männer-Netzwerke in den Unternehmen.
Fazit der Ökonomin: Das Bild der idealen Arbeitskraft orientiere sich nach wie vor an traditionell männlichen Erwerbsbiografien. Und die systematische Unterbewertung frauendominierter Berufe und Branchen stelle das größte Hindernis auf dem Weg zu mehr Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt dar.
Beispiele „Guter Praxis“
Gegenmaßnahmen setzen bereits während der Schulzeit an: Neben den bekannten Aktionstagen „Girls‘ Day“ und „Boys‘ Day“ nennt die Expertin die „Initiative Klischeefrei“, ein Bündnis von Schulen, Gewerkschaften, Unternehmen und Ministerien u. a., sowie Informatik als Pflichtfach in diversen Bundesländern.
Um die Öffentlichkeit für die Problematik zu sensibilisieren, seien der „Equal Pay Day“ oder der „German Equal Pay Award“ sinnvoll. Und auf Landesebene können Bremen mit seiner „Landesstrategie für Gendergerechtigkeit und Entgeltgleichheit“ sowie Hessen und Nordrhein-Westfalen mit ihrem „Lohnatlas“ mit geschlechtsspezifischen Daten als Vorbilder genannt werden.
Gewerkschaften fällt natürlich eine entscheidende Rolle zu: So habe die NGG mit ihrer „Initiative Lohngerechtigkeit“ in Berlin-Brandenburg eine neue Entgeltstruktur für das Bäckerhandwerk aushandeln können, „in der erstmals die männerdominierte Berufsgruppe der Bäcker*innen und die frauendominierte Gruppe der Verkäufer*innen gleichgestellt sind“. Für die Betriebe gebe es außerdem kostenlose Prüfinstrumente, zum Beispiel den „Entgeltgleichheits-Check“, dessen Entwicklung von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde.
Unterstützung zum Durchstoßen der gläsernen Decke biete zum Beispiel die Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ ab, heißt es in der Analyse. Positiv wirkten zudem freiwillige Frauenquoten bei Gewerkschaften und einzelnen Unternehmen. Auch mehr Teilzeitoptionen für Führungspositionen in manchen Konzernen seien hilfreich.
Was ist zu tun?
Jochmann-Döll fordert in ihrem Bericht, das Ehegattensplitting abzuschaffen, das Elterngeld vom individuellen Einkommen zu entkoppeln und mehr verpflichtende Partnermonate vorzugeben. Außerdem rät die Expertin, die Betreuung von Kleinkindern zu verbessern und eine Entgeltersatzleistung für pflegende Beschäftigte einzuführen.
Auch müssten Frauen in männerdominierten Berufen stärker sichtbar werden, ebenso wie Männern in frauendominierten Berufen, damit sich Jugendliche bei der Berufswahl an ihnen orientieren können.
sjo
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