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19. März 2017

Großer Geldbeutel, großer Erfolg in der Schule? Ganztagsschulen sorgen für mehr Gerechtigkeit

Kinder reicher Eltern haben es bei der Bildung leichter. Sie nehmen deutlich häufiger Nachhilfe in Anspruch – auch bei guten Leistungen. Ganztagsschulen tragen dazu bei, dass alle Schüler gleichermaßen gefördert werden. Und Mütter könnten häufiger einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen geben Eltern seit den 1970er-Jahren mehr und mehr Geld für Nachhilfe aus. Forscher der Hans-Böckler-Stiftung schätzen, dass sich der Markt in Deutschland auf rund eine Milliarde Euro im Jahr summiert (1). Zu ähnlichen Resultaten kamen Wissenschaftler der Bertelsmann-Stiftung (2).

Mehr Druck, mehr Unzufriedenheit

Zur Erklärung nennen Bildungsforscher unterschiedliche Argumente, etwa die wachsende Unzufriedenheit mit dem öffentlichen Schulsystem, den gestiegenen Leistungsdruck, den wachsenden Wettbewerb um aussichtsreiche Bildungswege und nicht zuletzt den Ehrgeiz vieler Eltern. Laut einer kürzlich veröffentlichten Böckler-Studie nehmen keineswegs – wie zu früheren Zeiten – nur lernschwache Schüler externe Hilfe in Anspruch. Häufig bewegen sie sich im notenmäßigen Mittelfeld, sind aber nicht versetzungsgefährdet.

Bertelsmann-Experten bestätigen dies mit eigenen Daten. Ein Beispiel: Im Matheunterricht haben zwar 63 Prozent der Nachhilfeschüler Noten, die sich zwischen einer Vier und einer Sechs bewegen. Doch mehr als jeder Dritte nimmt die zusätzliche Förderung auch bei befriedigenden bis sehr guten Leistungen in Anspruch.

Bessere Chancen durch das Konto der Eltern

Experten sprechen jetzt von einer „Kommerzialisierung und Privatisierung an den Rändern der Bildungslandschaft“. Das zeigen sie anhand von ökonomischen Parametern: Lediglich 13 Prozent aller Kinder aus Familien mit weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens erhielten kostenpflichtigen Unterricht. Zum Vergleich: Bei Familien mit mehr als 200 Prozent des mittleren Einkommens waren es 30 Prozent. Kommerzielle Nachhilfe bestätige tendenziell soziale Ungleichheiten, schlussfolgern die Autoren. Sie fanden auch signifikante Unterschiede je nach Schulform. Wer sich außerschulisch helfen lässt, besucht meist ein Gymnasium oder eine Realschule.

Um hier gegenzusteuern, empfehlen Wissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung, private Angebote stärker der Genehmigung, Kontrolle und Qualitätssicherung durch öffentliche Einrichtungen zu unterstellen. Das „originär öffentliche Gut Bildung“ müsse „aus der privatwirtschaftlichen Umklammerung“ gelöst werden, damit Förderungsbedürftige unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern Unterstützung bekämen.

Mehr Förderung, mehr Erwerbstätigkeit

Die Förderung über öffentliche Einrichtungen kommt nicht nur Kindern, sondern auch deren Eltern zu Gute. Werden Kinder nach der Einschulung in Ganztagsschulen oder im Hort auch am Nachmittag betreut, sind Mütter deutlich häufiger und länger berufstätig als zuvor. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor (3). Basis sind Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Der Veröffentlichung zufolge nehmen mehr als elf Prozent aller Frauen, die vor der Einschulung ihres Kindes nicht berufstätig waren, eine Erwerbstätigkeit auf. Mütter, die bereits zuvor einem Job nachgingen, arbeiten aufgrund der Nachmittagsbetreuung ihres Kindes wöchentlich im Schnitt gut zweieinhalb Stunden mehr.

Schlusslicht im OECD-Ranking

Zum Hintergrund: Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern ist bei uns im OECD-Vergleich gering. Aufgrund des Kita-Ausbaus sind zwar mehr Mütter erwerbstätig, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt aber auch für Mütter mit Grundschulkindern eine Herausforderung. Viele Frauen mit Kindern im Grundschulalter würden gerne länger arbeiten, können dies aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten aber häufig nicht. Selbst wenn die Kinder bereits zwischen sechs und acht Jahren alt sind, gehen mit knapp 20 Prozent deutlich weniger Mütter einem Vollzeitjob nach als Frauen ohne Kinder (über 50 Prozent). Auf das Arbeitsangebot der Väter hat die Nachmittagsbetreuung ihrer Grundschulkinder hingegen keinen Einfluss.

„Ganztagsschulen und Horte erhöhen die Erwerbsbeteiligung von Müttern“, sagt Jan Marcus, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bildung und Familie des DIW Berlin. „Nachdem in den vergangenen Jahren im Kita-Bereich viel getan wurde, sollten familienpolitische Maßnahmen noch stärker auf Angebote für Schulkinder zielen, damit die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter steigen kann – denn die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf endet nicht mit der Einschulung.“

Michael van den Heuvel

Quellen

(1) Klaus Birkelbach, Rolf Dobischat, Birte Dobischat: Außerschulische Nachhilfe. Ein prosperierender Bildungsmarkt im Spannungsfeld zwischen kommerziellen und öffentlichen Interessen, Study der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 348, Februar 2017. http://bit.ly/2myQ2oH

(2) Studie der Bertelsmann-Stiftung: http://bit.ly/1RN03Mn

(3) DIW-Wochenbericht 47/2016: http://bit.ly/2nLDR8Y

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