Löhne und Gehälter im Vergleich: Ost-West-Gefälle verringert sich nur langsam – Mehr Tarifbindung nötig

Selbst 35 Jahre nach der Wiedervereinigung verdienen Beschäftigte im Osten deutlich weniger als im Westen. Doch Mindestlohn und Tarifbindung haben die Unterschiede verringert.
Einkommensunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind mehr als drei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit nicht verschwunden. Laut einer aktuellen Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung verdienten Vollzeitbeschäftigte in Westdeutschland im Schnitt 4.810 Euro brutto im Monat, im Osten dagegen 3.973 Euro, Stand 2024. Das entspricht einem Unterschied von 17,4 Prozent.
Immerhin: Seit dem Jahr 2014 hat sich die Lücke spürbar verkleinert – um sieben Prozentpunkte. Zuvor war über 15 Jahre hinweg kaum Bewegung zu verzeichnen.
Mindestlohn als Treiber
Eine zentrale Rolle spielt der im Jahr 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn. „Beschäftigte in Ostdeutschland haben überdurchschnittlich […] profitiert, weil hier ein besonders großer Niedriglohnsektor entstanden war“, erklärt WSI-Experte Dr. Malte Lübker.
Besonders deutlich zeigt sich das am unteren Ende der Lohnskala: Im Jahr 2024 lagen die Stundenlöhne des untersten Zehntels in Ostdeutschland nur noch um ein Prozent unter dem Westniveau. Vor Einführung des Mindestlohns betrug die Differenz noch 17,5 Prozent. Mit den bereits beschlossenen Anhebungen auf 13,90 Euro im Jahr 2026 und 14,60 Euro im Jahr 2027 dürfte sich der Angleichungsprozess weiter fortsetzen.
Tarifverträge bleiben entscheidend
Für die meisten Arbeitnehmenden oberhalb des Mindestlohns sind Tarifverträge der Schlüssel zu einem besseren Einkommen. Mit Tarifvertrag liegen die Löhne im Schnitt rund zehn Prozent höher. Bei den Tariflöhnen selbst ist die innerdeutsche Angleichung weitgehend vollzogen: Das Niveau in Ostdeutschland erreicht inzwischen 98,5 Prozent des Westwerts.
Problematisch bleibt jedoch die geringere Tarifbindung. In Ostdeutschland sind es nur knapp 42 Prozent der Beschäftigten, im Westen 50 Prozent. Viele ostdeutsche Arbeitgeber ohne Tarifbindung unterlaufen branchenübliche Standards besonders deutlich.
„Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse bleibt eine zentrale Aufgabe“, betont WSI-Direktorin Prof. Bettina Kohlrausch. Dazu müsse die Tarifbindung gestärkt werden – auch durch politische Maßnahmen wie Tariftreuegesetze. Nur so könne die Angleichung der Löhne weiter vorangetrieben und der gesellschaftliche Zusammenhalt gefestigt werden.
Michael van den Heuvel
Quelle
Hans-Böckler-Stiftung: Auswertung zum Tag der Deutschen Einheit: Weiter Lohngefälle zwischen West und Ost – Mindestlohn hat Angleichungsprozess in den letzten zehn Jahren beschleunigt (30.09.2025), online unter: https://www.boeckler.de/data/pm_wsi_2025_09_30.pdf




