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Mehr Arbeiten für mehr Wohlstand? Warum längere Arbeitszeiten keine Lösung sind

In Deutschland diskutieren Politiker kontrovers über längere Arbeitszeiten und weniger Feiertage. Aber arbeiten wir wirklich zu wenig? Und was brächten längere Wochenarbeitszeiten? Antworten gibt Dr. Eike Windscheid-Profeta von der Hans-Böckler-Stiftung.

Forderungen nach mehr Arbeitstagen und nach längeren Wochenarbeitszeiten stehen hoch im Kurs. Der Vorwurf mancher Politiker: Beschäftigte in Deutschland seien kaum noch bereit, zu arbeiten. Tatsächlich sank die durchschnittliche Wochenarbeitszeit seit 1991 von fast 39 auf etwa 36,5 Stunden. Gleichzeitig ist das gesamte Arbeitsvolumen gestiegen, denn noch nie waren so viele Menschen erwerbstätig wie heute.

Neben der steigenden Erwerbstätigkeit spielen Überstunden eine große Rolle: Viele Beschäftigte leisten unbezahlte Mehrarbeit. Besonders auffällig ist zudem die hohe Teilzeitquote, die 2023 fast 31 Prozent erreichte – bei Frauen liegt sie sogar bei 50 Prozent. Häufig wird Teilzeit aus Gründen der Überlastung oder wegen fehlender Betreuungsangebote gewählt – nicht freiwillig.

Soziale Absicherung braucht mehr als lange Arbeitszeiten

Geringe individuelle Arbeitszeiten sind weniger ein wirtschaftliches Problem, sondern treffen besonders die soziale Absicherung: Rentenansprüche hängen stark vom Einkommen und damit auch von der Arbeitszeit ab. Frauen und Mütter sind oft gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten. 

Eine pauschale Verlängerung der Arbeitszeit löst diese Probleme nicht, sondern verschärft sie. Ohne bessere Arbeitsbedingungen, gerechtere Verteilung von Sorgearbeit und faire Strukturen bleiben Teilzeitarbeit und Einkommenslücken bestehen.

Produktivität lässt sich nicht zwangsläufig in Arbeitsstunden quantifizieren

Wohlstand hängt nicht allein von der Menge der geleisteten Arbeitsstunden ab. Studien zeigen, dass eine bessere Organisation von Arbeitsprozessen oft mehr bewirkt als längere Arbeitszeiten. Pilotprojekte zur Vier-Tage-Woche etwa belegen, dass Unternehmen ihre Produktivität steigern oder zumindest halten konnten – bei reduzierter Arbeitszeit.

Dagegen sind negative Folgen von (zu) langen Arbeitszeiten wissenschaftlich gut belegt: Konzentrationsprobleme, Fehler, höhere Unfallgefahren und langfristig auch ein steigender Krankenstand gefährden Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit.

Beschäftigte wollen kürzere Arbeitszeiten

Angestellte wünschen sich im Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 32 bis 34 Stunden. Weniger Arbeitszeit bedeutet nicht nur mehr Freizeit, sondern schützt die Gesundheit, ermöglicht Weiterbildungen und stärkt gesellschaftliches Engagement. Die verbreitete Annahme, kürzere Arbeitszeiten seien Ausdruck von Faulheit, greife zu kurz, schreibt Windscheid-Profeta. 

Mehr Arbeit garantiert nicht mehr Wohlstand

Bleibt als Fazit: Die Forderung nach pauschal längeren Arbeitszeiten verkenne die Realität, so Windscheid-Profeta. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen sei hoch, und Wohlstandsverluste seien nicht erkennbar. Statt längerer Arbeitstage brauche Deutschland bessere Arbeitsbedingungen, gerechtere Verteilung von Sorgearbeit und innovative Arbeitszeitmodelle wie die 4-Tage-Woche. Nur so lasse sich Produktivität, Gesundheit und Wohlstand nachhaltig sichern.

Michael van den Heuvel

Quelle

Eike Windscheid-Profeta: Arbeitsvolumen in Deutschland: (wieder) mehr und länger arbeiten für Wohlstand und Wohlfahrt? Hans-Böckler-Stiftung, online unter https://www.wsi.de/de/blog-17857-arbeitsvolumen-in-deutschland-wieder-mehr-und-laenger-arbeiten-fur-wohlstand-und-wohlfahrt-68128.htm