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14. Juli 2017

Schöne neue Arbeitswelt: Digitalisierung – Fluch oder Segen?

Kollege Computer hält in allen Branchen Einzug – öffentliche Apotheken inklusive. Forscher der Hans-Böckler-Stiftung zeigen jetzt, dass Angestellte mit größtenteils negativen Folgen konfrontiert werden. Sie fordern vernünftige Digitalisierungsstrategien.

Dass selbst moderne Software schnell an Grenzen stößt, hat Amazon am eigenen Leibe gespürt. Dem Unternehmen gelang es nicht, per IT doppelte beziehungsweise unpassende Produkte aus Empfehlungen zu entfernen. Schließlich gründete der Versandhändler eine Crowdwork-Plattform namens Mechanical Turk*. Über entsprechende Internet-Portale werden Aufgaben wie das Sichten von Angeboten eines Online-Shops nach außen vergeben. Auftragnehmer aus aller Welt können tätig werden. Wer mitarbeiten möchte, braucht lediglich einen Computer und einen Internetzugang, um sich einzuloggen und um zu arbeiten. Das Honorar orientiert sich an der Zahl bearbeiteter Aufgaben.

Crowdwork-Plattformen sind umstritten: Häufig verdienen sich Frauen mit kleinen Kindern oder mit zu pflegenden Angehörigen etwas dazu, weil sie zu jedem Zeitpunkt arbeiten können. Da viele Portale jenseits des deutschen Rechts liegen, werden weder Mindestlöhne noch Sozialabgaben gezahlt. 

Frühformen der Ausbeutung

„Mit den neuen Jobs kehren Frühformen kapitalistischer Ausbeutung zurück“, kritisiert die Hans-Böckler-Stiftung im Beitrag. „Millionen Heimarbeiter ohne institutionalisierte soziale Absicherung konkurrieren weltweit um Miniaufträge von Unternehmen. Als Lohn winkt ein karger Stückakkord; die Wenigsten kommen auf den Mindestlohn.“ Da sich Amazon stärker im Arzneimittelhandel positioniert, gewinnt Mechanical Turk zumindest auch für OTC-Präparate und sonstige apothekenübliche Produkte an Bedeutung.

Überwachung auf Schritt und Tritt

Während Crowdwork-Plattformen jenseits des Einzelfalls eher Zukunftsszenarien sind, beeinflussen weitere Technologien Angestellte schon heute. Böckler-Experten sprechen von „totaler Überwachung“. Spezielle Software, sogenannte Keylogger, zeichnet Tastaturanschläge des Arbeitsplatzbildschirms auf. Screenshot-Tools sind ebenfalls bekannt. Sie senden Aufnahmen des Bildschirms an weitere Geräte.

In Deutschland ist der Einsatz von Keyloggern oder sonstigen Überwachungsprogrammen gemäß § 202a des Strafgesetzbuches („Ausspähen von Daten“) zwar untersagt. Und laut Anhang zur Bildschirmarbeitsverordnung darf „ohne Wissen der Benutzer […] keine Vorrichtung zur qualitativen oder quantitativen Kontrolle verwendet werden“. Die technischen Hürden sind aber vergleichsweise niedrig.

Existiert ein Betriebsrat, haben Angestelltenvertreter die Möglichkeit, über sogenannte Betriebsvereinbarungen (BV) Leistungskontrollen per IT auszuschließen. Allerdings kommen nur wenige Apotheken in diesen Genuss – Betriebsräte sind bei Kleinbetrieben eine Seltenheit. Wenigstens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer müssen ständig beschäftigt und drei auch zum Betriebsrat wählbar sein. Danach können sie eine „IT-BV“ zusammen mit der Firmenleitung paraphieren.

Chancen nutzen

In ihrem Beitrag verwehren sich Böckler-Experten trotzdem dagegen, moderne Technik nur negativ zu bewerten. Experten aus Wissenschaft, Management, Gewerkschaft, Mitbestimmung und Politik haben gemeinsam Vorschläge erarbeitet, um Angestellte vor negativen Folgen zu schützen. Ihre Forderungen:

  • Der Strukturwandel darf keine Arbeitsplätze vernichten. Umso bedeutender werden Weiterbildungen, und zwar für alle Hierarchien im Betrieb. Besonders wichtig sind Programme jedoch für weniger qualifizierte Beschäftigte.
  • Rechtliche Mindeststandards müssen auf Jobs „jenseits der Anstellung“, etwa bei Crowdwork-Plattformen, ausgedehnt werden.
  • Die „fluide Arbeitswelt“ erfordert neue Spielregeln, um Home Office und Freizeit klarer zu trennen. Neue Gefährdungsbeurteilungen sind unerlässlich.

Michael van den Heuvel

 

* Der Begriff spielt auf einen gleichnamigen „Schachcomputer“ aus dem späten 18. Jahrhundert an. In dessen Inneren befanden sich jedoch Menschen. Link: www.mturk.com/mturk/welcome

 

Quellen

 

Literatur

  • Wronka / Gola / Pötters: Handbuch Arbeitnehmerdatenschutz,  7. überarbeitete und erweiterte Auflage 2016. Buch. 719 S. Hardcover.  ISBN 978-3-89577-779-0, 119,99 €
  • Schwerpunktheft der Deutschen Apotheker Zeitung: Alles digital oder was? (DAZ Nr. 13/2017)

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