NEWS

Warum eine Arbeitszeitreform Beschäftigte belasten würde

Die Bundesregierung will den Acht-Stunden-Tag aufweichen. Doch Forschende der Hans-Böckler-Stiftung warnen: Längere Arbeitstage gefährden die Gesundheit und die Gleichstellung. Sie könnten sogar das Gegenteil dessen bewirken, was die Regierung eigentlich anstrebt.

Ein Thema sorgt bei Gewerkschaften momentan für Gesprächsstoff: Die Bundesregierung plant, die tägliche Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz abzuschaffen. Statt der bisherigen Grenze von acht Stunden pro Tag soll künftig nur noch die wöchentliche Arbeitszeit maßgeblich sein. Ihre Ziele: mehr Flexibilität, wirtschaftliche Impulse und die Sicherung des Arbeitsvolumens im demografischen Wandel. Doch Expertinnen und Experten der Hans-Böckler-Stiftung halten solche Pläne für hochriskant. Sie sehen keine Notwendigkeit für Eingriffe dieser Art. 

Der Acht-Stunden-Tag ist längst flexibel

Entgegen der Annahme, das deutsche Arbeitszeitgesetz sei starr, bietet es schon heute erhebliche Spielräume. Arbeitgebende können die Arbeitszeit ohne weitere Begründung auf bis zu zehn Stunden täglich verlängern, solange im Sechsmonatszeitraum ein Ausgleich erfolgt. Zudem sind branchenspezifische Abweichungen über Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen möglich, wenn Rufbereitschaft in die Arbeitszeit fällt. Die geplante Umstellung auf eine wöchentliche Regelung würde jedoch ganz neue Dimensionen eröffnen: Arbeitstage von über zwölf Stunden könnten zur Regel werden. 

Wenn Arbeit krank macht

Wie wenig Angestellte von einer weiteren Flexibilisierung halten, zeigt eine Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Knapp drei Viertel der Befragten befürchten negative Folgen für Gesundheit, Familienleben und Alltag, wenn Arbeitstage von mehr als zehn Stunden erlaubt würden. Nur sechs Prozent erwarten Verbesserungen. 

Frauen sehen die Pläne besonders kritisch, da sie neben dem Beruf deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten. Schon heute arbeiten 12 Prozent der Beschäftigten regelmäßig länger als zehn Stunden am Tag, fast 40 Prozent nehmen ihre Arbeit abends nach 19 Uhr noch einmal auf. Viele Angestellte sind dadurch gestresst, können sich nicht erholen und haben eine fragile Work-Life-Balance. Die meisten Befragten wünschen sich klar geregelte Arbeitszeiten – und einen Feierabend spätestens um 18 Uhr.

Extrem lange Arbeitstage erhöhen auch das Risiko für psychische Erkrankungen, Erschöpfung, Herz-Kreislauf-Leiden und sogar Krebs. Und nach zwölf Stunden im Job verdoppelt sich das Risiko, bei der Arbeit oder auf dem Heimweg zu verunglücken. Längere Arbeitszeiten bedeuten also nicht mehr Produktivität, sondern mehr Gefahren für die Gesundheit – und für die Wirtschaft durch höhere Ausfallraten.

Gleichstellung in Gefahr

Sie verschärfen aber auch soziale Ungleichheiten, insbesondere zwischen Männern und Frauen. Mütter leisten im Schnitt acht Stunden mehr unbezahlte Sorgearbeit pro Woche als Väter – und arbeiten damit insgesamt länger. Eine Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit würde diesen Ungleichstand weiter vergrößern. 

Zudem droht eine Kettenreaktion: Wenn der Partner, der einen Vollzeit-Job hat, noch länger arbeitet, bleibt weniger Zeit für Familie, Pflege und gesellschaftliches Engagement. Der Druck auf Frauen, in Teilzeit zu bleiben, wächst.

Forschende relativieren ökonomische Mythen

Befürworter der Reform argumentieren, Deutschlands Arbeitnehmende würden im internationalen Vergleich zu wenig arbeiten. Doch die Daten zeichnen ein anderes Bild. Die Erwerbstätigkeit und Arbeitsvolumina haben in den letzten Jahren Rekordwerte erreicht. Im Jahr 2024 arbeiteten bundesweit 46 Millionen Menschen: so viele wie nie zuvor. Das Arbeitszeitvolumen von Arbeitnehmenden stieg auf 54,6 Milliarden Stunden. Vollzeitbeschäftigte arbeiten im Durchschnitt 40,2 Stunden pro Woche – fast genau das EU-Mittel. Dass die Gesamtarbeitszeit pro Kopf geringer ist, liegt vor allem an der hohen Teilzeitquote von Frauen.

Auch die Idee, Feiertage zu streichen, um die Wirtschaft anzukurbeln, hält das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung für unbegründet. Analysen zeigen, dass Regionen mit mehr Feiertagen keineswegs langsamer wachsen – teils sogar schneller. 

Was Beschäftigte wirklich brauchen

Statt längere Arbeitstage zu ermöglichen, müsste die Politik Arbeitszeit-Souveränität fördern – also Beschäftigten mehr Einfluss auf Beginn, Ende und Verteilung ihrer Arbeitszeit geben. Dazu gehört, Teilzeit ohne finanzielle Nachteile zu ermöglichen, die Kinderbetreuung verlässlich auszubauen und die Sorgearbeit fairer zwischen den Geschlechtern zu verteilen.

Michael van den Heuvel

Quellen