Weniger Feiertage, mehr Wachstum – ein Mythos

Die Abschaffung gesetzlicher Feiertage bringt laut Hans-Böckler-Stiftung kaum wirtschaftliche Vorteile – und könnte sogar kontraproduktiv sein. Das zeigt eine neue Analyse.
Weniger Feiertage, mehr Arbeit – und damit mehr Wirtschaftsleistung? So einfach stellen sich manche Wirtschaftsvertreter den Zusammenhang vor. Doch die Realität ist komplexer. Eine Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Es gibt keinen belastbaren Beleg dafür, dass die Streichung gesetzlicher Feiertage das Wirtschaftswachstum fördert. Im Gegenteil: In vielen Fällen entwickelten sich Bundesländer mit mehr arbeitsfreien Tagen sogar besser.
Veränderungen des Feiertagskalenders auf dem Prüfstand
Das IMK hat mehrere Veränderungen im Feiertagskalender untersucht, darunter die Abschaffung des Buß- und Bettags im Jahr 1995 – außer in Sachsen. Überraschenderweise verzeichnete Sachsen in diesem Jahr ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum: 9,7 Prozent gegenüber 3,4 Prozent im Bundesdurchschnitt. Auch gegenüber angrenzenden Bundesländern, in denen der Feiertag ebenfalls gestrichen wurde, schnitt Sachsen besser ab.
Ähnliche Ergebnisse zeigten sich im Jahr 2017, in dem der Reformationstag einmalig bundesweit ein Feiertag war. Ein Jahr später – ohne diesen Feiertag – gab es in den betroffenen westdeutschen Bundesländern keinen wirtschaftlichen Vorteil, sondern teils sogar einen leichter Rückgang im Wachstum.
Und im Jahr 2019 wurde der Internationale Frauentag in Berlin zum Feiertag – mit einem positiven Effekt: Das nominale Bruttoinlandsprodukt wuchs dort um zwei Prozentpunkte stärker als im Bundesdurchschnitt. Ein Schaden durch mehr Freizeit lässt sich also wissenschaftlich fundiert nicht erkennen.
Mehr Arbeit ist nicht gleich mehr Produktion
Zur Erklärung: Mehr Arbeitstage bedeuten nicht automatisch mehr Produktion. Viele Unternehmen verteilen ihre Aufträge so, dass Feiertage ohnehin nicht betroffen sind – etwa wegen möglicher Zuschläge. Und in einer Zeit, in der Fachkräfte fehlen, ist nicht die verfügbare Arbeitszeit das Nadelöhr, sondern oft die Nachfrage oder die Innovationskraft eines Unternehmens.
Hinzu kommt: Weniger freie Tage können die Erholung und damit die Produktivität mindern. Wer überlastet ist, verringert womöglich langfristig sein Arbeitsengagement – durch Teilzeit, Minijob-Verzicht oder innere Kündigung. Auch dieser Effekt fließt bislang kaum in wirtschaftliche Betrachtungen ein.
Fazit: Wachstum braucht mehr als Arbeitstage
Die Vorstellung, durch die Streichung von Feiertagen das Bruttoinlandsprodukt spürbar zu steigern, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als Illusion. Produktivität, Innovationskraft und gesellschaftlicher Zusammenhalt hängen nicht allein an der Zahl der Arbeitstage – sondern auch an der Qualität der Arbeit und den Bedingungen, unter denen sie stattfindet. Feiertage sind dabei kein Hindernis, sondern ein wichtiger Bestandteil eines funktionierenden Wirtschaftssystems.
Michael van den Heuvel
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