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08. Januar 2018

Neue Zahlen zur Rentenlücke: Frauen im Alter deutlich schlechter versorgt als Männer

Bezogen auf alle drei Säulen der Altersversorgung erhalten Frauen rund 53 Prozent weniger Rente als Männer, berichten Forscher der Hans-Böckler-Stiftung. Als Grund sehen sie vor allem weibliche Erwerbsbiografien, die durch Eltern- und Pflegezeiten unterbrochen wurden. Für die Gesellschaft bleibt als Frage, inwieweit diese Phasen in der gesetzlichen Rentenversicherung stärker berücksichtigt werden sollten.

Grundlegende Rentenreformen zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben die Alterssicherung auf drei Säulen gestellt. Dazu gehören neben der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zunehmend betriebliche und private Modelle. Allerdings betreffen geringe Erwerbseinkommen, unterbrochene Erwerbsbiografien und die immer noch geringere Arbeitsmarktbeteiligung Frauen weitaus stärker als Männer. Seit den 1980er-Jahren werden Erziehungszeiten zwar stärker bei der GRV berücksichtigt. Weitere Mechanismen wie der Versorgungsausgleich bei Scheidungen oder die Witwenrente beim Tod des besser verdienenden Partners kommen mit hinzu. Sie verhindern den „Gender Pension Gap“, also den Rentenunterschied im Alter, jedoch nicht.

Zu diesem Ergebnis kommen Alexandra Wagner, Christina Klenner und Peter Sopp vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Sie haben Daten der gesetzlichen Rentenversicherung, der repräsentativen Untersuchung zur „Alterssicherung in Deutschland 2015“ (ASID 2015) und der Untersuchung zur „Verbreitung der Altersvorsorge 2015“ (AV 2015) analysiert.

Demnach liegt die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern bundesweit bei 53 Prozent. Das heißt, Männer haben im Alter etwa doppelt so viel Geld zur Verfügung wie Frauen. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede in allen drei Säulen der Alterssicherung.

Männer erhalten von der GRV durchschnittlich 1.154 Euro pro Monat, bei Frauen sind es 634 Euro. Aus der betrieblichen Altersversorgung kommen dazu 593 Euro für Männer und 240 Euro für Frauen. Nicht zuletzt können sich Männer über 485 Euro aus privaten Vorsorgemodellen freuen, während Frauen nur 311 Euro erhalten. Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2015.

Räumliche und zeitliche Unterschiede

Wagner und Kollegen fanden weitere Auffälligkeiten. Im Westen war der „Gender Pension Gap“ mit 58 Prozent deutlich größer aus als in Osten mit 28 Prozent. Als Erklärung führen sie die höhere Erwerbstätigkeit und kürzere Familienpausen von Frauen in Ostdeutschland an. Gleichzeitig beobachten sie eine Verringerung des Unterschieds seit 1992 (73 Prozent West, 39 Prozent Ost, 69 Prozent bundesweit).

Die Forscher führen mehrere Faktoren zur Erklärung an. Traditionelle Rollenmodelle seien im Westen ausgeprägter gewesen als im Osten, heißt es im Artikel. Kompensationen für Erziehungszeiten hätten darauf nur wenig Einfluss.

Andererseits verweisen Wagner et al. auf die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen. Dieser wünschenswerte Trend hat einen Haken: Arbeitnehmerinnen bekommen immer noch weniger Gehalt als Arbeitnehmer bei vergleichbaren Tätigkeiten. Insofern spielt der „Gender Pay Gap“, also der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen, auch bei der Alterssicherung eine große Rolle.

Lernen von Europa

Im europäischen Vergleich steht Deutschland neben Luxemburg (jeweils 45 Prozent) auf dem letzten Platz bei der geschlechtsspezifischen Rentenlücke. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 2012. Litauen (12 Prozent), die Slowakei und Dänemark (jeweils 8 Prozent) und Estland (5 Prozent) gehören zu den Ländern mit den geringsten Unterschieden.

Wie lassen sich die Unterschiede erklären? Wagner nennt die in Westdeutschland immer verbreitete geschlechtstypische Arbeitsteilung inklusive geringer Teilhabe von Frauen an bezahlter Arbeit. Außerdem macht sich das sogenannte Äquivalenzprinzip bemerkbar: Höhe und Dauer des Arbeitseinkommens spielen eine wesentliche Rolle. Sie bestimmen über die Beitragszahlungen, wie hoch die Rente tatsächlich ausfällt.

Geringere geschlechtsbezogene Unterschiede in den Alterseinkünften gibt es in Regionen mit höherer Frauenerwerbstätigkeit. Dazu gehören viele Länder Mittel- und Osteuropas. Alternativ bleiben steuerfinanzierte Alterssicherungssysteme mit einheitlicher Basisrente: ein Modell, für das sich beispielsweise Dänemark entschieden hat.

Handlungsempfehlungen für Deutschland

Dass sich die Rentenlücken zwischen beiden Geschlechtern verringern, ist nicht nur Grund zur Freude. Zwar nehmen mehr und mehr Frauen am Erwerbsleben teil. Davon unabhängig sinken aber die späteren Rentenansprüche von Männern. Durchgängige Erwerbsbiographien sind heute generell seltener geworden. Unterbrechungen aufgrund von längeren Weiterbildungen oder Aufbaustudiengängen werden bei der Rente kaum noch berücksichtigt.

„Um die geschlechtsbezogene Rentenlücke zu reduzieren, bedarf es vor allem besserer Erwerbschancen für Frauen und günstigerer Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter“, resümiert Wagner. Alle Menschen sollten in der Lage sein, über die Teilung von beruflicher und familiärer Arbeit partnerschaftlich und frei zu entscheiden. Dazu ist eine umfassende gesellschaftliche Aufwertung der Sorgearbeit erforderlich. Die besten Steuerungsmöglichkeiten aus gesellschaftlicher Sicht gibt es bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Alterssicherung. Wagner: „Ob und in welchem Ausmaß dabei auch Kindererziehungs- und Pflegearbeit in stärkerem Ausmaß als heute eigene Anwartschaften begründen sollten, ist einer gesellschaftlichen Debatte vorbehalten, die den Stellenwert von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit für die Alterssicherung betrifft.“

Michael van den Heuvel

Quelle: Alexandra Wagner, Christina Klenner, Peter Sopp: Alterseinkommen von Frauen und Männern, WSI Report Nr. 38, Dezember 2017, online: http://t1p.de/20cl

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