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20. Oktober 2024

Bundesweite Rezession durch zu hohen Krankenstand? Böckler-Expertin warnt vor der Fehlinterpretation aktueller Statistiken

Der Krankenstand ist höher denn je – und manche Medien zeichnen das Bild einer krank feiernden, arbeitsscheuen Gesellschaft. Eine Expertin der Hans-Böckler-Stiftung widerspricht. Sie nimmt die Arbeitgebenden in die Pflicht, mehr für Beschäftigte zu tun.

Kürzlich veröffentlichte Analysen von Versichertendaten zeigen, dass die Krankenstände in diesem Jahr auf einem historisch hohen Niveau liegen. Bereits zwischen Januar und August 2024 wurde der Höchststand von 225 Krankheitsfällen pro 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder aus dem Vorjahr erreicht – und das noch vor der Erkältungswelle im Herbst und Winter. Die Autorinnen und Autoren des Reports erwarten daher, dass der Krankenstand für das gesamte Jahr 2024 höher ausfallen wird als 2023.

Atemwegserkrankungen und Burnout als wichtigste Ursachen

Hauptverantwortlich für diesen Anstieg sind Atemwegserkrankungen, die wahrscheinlich durch eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und durch neue virale Erkrankungen der letzten Jahre weiter begünstigt werden.

Der AOK-Report zeigt aber auch, dass psychische Erkrankungen ein langfristig steigender Faktor für höhere Krankenstände sind. Krankschreibungen wegen Burnout sind von 100 AU-Tagen pro 100 erwerbstätige Mitglieder im Jahr 2014 auf fast 184 Tage im Jahr 2024 nach oben geschnellt. Als mögliche Erklärung nennen die Autorinnen und Autoren unter anderem globale Krisen und Veränderungen der Arbeitswelt wie die ständige Erreichbarkeit. Besonders stark sind Berufe im Bildungswesen, im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst betroffen.

Hohe Belastung von Arbeitnehmenden

Dr. Elke Ahlers von der Hans-Böckler-Stiftung hat zu dem Trend steigender Krankenstände einen Kommentar verfasst. Sie bewertet die Überlastung von Beschäftigten durch Fachkräftemangel und Personalengpässe als größtes Problem. „Für Eltern kleinerer Kinder werden diese Arbeitsbelastungen noch durch den flächendeckenden Mangel an Kita-Plätzen getoppt“, schreibt Ahlers.

Sie betont: „Auch das geänderte digitalisierte Verfahren bei der Erfassung und Weiterleitung von Krankmeldungen hat den Krankenstand beeinflusst.“ War es bis 2022 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst überlassen, Krankmeldungen nicht nur der Chefin oder dem Chef, sondern auch ihrer Krankenkasse weiterzureichen, so geschieht dies nun digital. Durch die Umstellung erhalten Krankenversicherungen umfassende Datensätze, zuvor aber nicht.

Eine komplexe Debatte

Angesichts dieser Vielzahl an Ursachen kommentiert Ahlers, Schuldzuweisungen an vermeintlich wenig leistungsorientierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien kontraproduktiv. Statt sich über die vermeintlich wenig leistungsbereite arbeitende Bevölkerung zu beschweren und deren Fehlzeiten als Grund für die wirtschaftliche Rezession in Deutschland zu benennen, sollten sich Firmen besser auf die Suche nach den jeweiligen Gründen machen. „Das wird im Zuge des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der konsequenteren Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen seit langem gefordert, aber von den Unternehmen nur halbherzig umgesetzt“, kritisiert Ahlers.

Michael van den Heuvel

Quellen

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