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24. Februar 2020

Armutsfeste Mindestlöhne: Was tut sich in Europa bei den Lohnuntergrenzen?

Die Mindestlöhne sind zuletzt im Schnitt in der EU und Großbritannien um 6 Prozent gestiegen. Nach Angaben des WSI-Tarifarchivs entspricht das einem preisbereinigten Wachstum um 4,4 Prozent. 2020 könnte laut den Experten des WSI zum „Jahr des Mindestlohns“ in Europa werden – auch dank einer Initiative der EU-Kommission.

Zum Jahresbeginn haben viele europäische Länder ihr Mindestlohnniveau erhöht. Auch in Deutschland gab es einen Anstieg um 16 Cent auf jetzt 9,35 Euro. Damit liegt die deutsche gesetzliche Untergrenze allerdings immer noch deutlich unter den anderen westlichen EU-Staaten und bald auch hinter Großbritannien, das zum 1. April auf 9,93 Euro erhöht.

Um armutsfest und existenzsichern zu sein, sollte ein Mindestlohn mindestens 60 Prozent des mittleren Lohns (Medianlohns) betragen, fordern Experten. Auch diverse Regierungen verfolgen dieses Ziel für die nächsten Jahre, beispielsweise Großbritannien, Spanien und die Slowakei. Aktuell liegt der Schnitt in der EU bei 51 Prozent. Deutschland liegt mit 45,6 Prozent noch darunter – und sogar mit einer fallenden Tendenz in den letzten Jahren.

15 europäische Länder waren hier 2018 besser aufgestellt, mit den beiden Spitzenreitern Frankreich, und Portugal, die beide über der 60-Prozent-Marke lagen (61,6 bzw. 61,4 Prozent).

Kein Wunder, dass sich hierzulande die Forderungen nach einer deutlichen Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro oder sogar 14 Euro verstärken.

Dazu ADEXA-Vorstand Tanja Kratt: „Auch ADEXA spricht sich für einen Mindestlohn von 60 Prozent des Medianlohns aus. Davon würden insbesondere auch viele Frauen in Niedriglohnberufen profitieren. Selbst die tariflichen PTA-Einstiegsgehälter liegen ja derzeit nur knapp über 12 Euro, und das bei der anspruchsvollen Ausbildung und verantwortungsvollen Aufgabe von PTA. Arbeitgeber, Politik und Krankenkassen sollten sich das einmal genau vor Augen halten und überlegen, wie Apotheken künftig wettbewerbsfähig bleiben können und sollen.“

Spanien: Keine negativen Auswirkungen

Dass ein kräftiges Plus die Wirtschaft und Beschäftigungssituation eines Landes nicht schwächen muss, zeigt laut den WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten und Malte Lübker das Beispiel Spanien. Dort gab es Anfang 2019 einen Anstieg um 22 Prozent (!) und Anfang 2020 um weitere 5,6 Prozent. Ähnlich wie in Deutschland wurden diese Entscheidungen gemeinsam von Gewerkschaften und Arbeitgebervertretung getroffen.

Auch die EU sieht Bedarf, dass in der Gemeinschaft vermehrte Anstrengungen unternommen werden. „2020 könnte in Europa das Jahr des Mindestlohns werden“, schreiben Schulten und Lübker. „Erstmals hat die Europäische Kommission die Initiative für eine europäische Mindestlohnpolitik ergriffen, um überall in Europa gerechte, das heißt armutsfeste und existenzsichernde Mindestlöhne, durchzusetzen.“

Ausnahmen Skandinavien und Österreich

Ausnahmen ohne Mindestlöhne gibt es in Europa zwar auch – allerdings seien dies mit Österreich und den skandinavischen Ländern Staaten, in denen ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad und eine hohe Tarifbindung bestehen. Mit den dadurch erreichten guten Tarifgehältern ist  ein gesetzlicher Mindestlohn nicht vordringlich. Dazu die Autoren: „Mindestlöhne setzen eine absolut notwendige Untergrenze. Aber entscheidend für eine angemessene Lohnentwicklung ist es, das Tarifsystem zu stärken – auch in Deutschland.“ 

Quelle: Malte Lübker, Thorsten Schulten: WSI-Mindestlohnbericht 2020: Europäische Mindestlohninitiative vor dem Durchbruch?, WSI-Report Nr. 55, Februar 2020 

www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_55_2020.pdf

 

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