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19. Oktober 2016

Milchmädchenrechnung – Ein Kommentar zum EuGH-Boni-Urteil von Barbara Stücken-Neusetzer

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) will mit seinem Urteil angeblich eine Benachteiligung ausländischer Versandapotheken aufheben. De facto führt die Aufhebung des Boni-Verbots, die nur für DocMorris und andere ausländische Versender gilt, zu einer Inländerdiskriminierung, nämlich der deutschen Apotheken insgesamt. Sie müssen sich weiter an die deutsche Arzneimittelpreisverordnung halten – ihre Konkurrenz aus dem europäischen Ausland nicht.

Die Vorstellung, dass gerade die Rezeptur ein wirksamer Wettbewerbsvorteil für die „traditionellen“ deutschen Apotheken gegenüber holländischen Versendern mit ihren Preisnachlässen sein soll, kann auch nur aus der weiten räumlichen wie inhaltlichen Distanz der Richter in Luxemburg stammen.

Auch ein anderes Argument des EuGH ist viel zu kurz gedacht: Wenn Apotheken in ländlichen, dünn besetzten Gebieten höhere Preise verlangen (können), weil sie dort weniger Wettbewerber haben, wird sich die Landbevölkerung doch nur noch stärker auf die rosinenpickenden Online-Händler stürzen. Ein Dauernotdienst für diejenigen Fälle, wenn das Päckchen aus Holland nicht schnell genug gekommen ist – das dürfte selbst ohne lokale Konkurrenz kein tragfähiges Geschäftsmodell sein. Damit wird sich die Apothekenlandschaft noch stärker ausdünnen – gerade auch auf dem Land oder in Stadtrandlagen, wo es keine Laufkundschaft gibt, die neben dem Ibuprofen auch nach apothekenexklusiver Kosmetik fragt.

Da werden sich dann in wenigen Jahren auch die Patienten der Parkinson-Selbsthilfegruppen in der DPV fragen, ob die Kooperation mit DocMorris wichtiger war als eine Präsenzapotheke in der Nähe (und auch wichtiger als die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze für Kinder und Enkel). Aber vielleicht ist bis dahin überhaupt das ganze deutsche Apothekensystem über den Haufen geworfen, nach Klagen der inländischen Versandapotheken und einer folgenden Liberalisierung im Dominoprinzip … Zumal auch viele Krankenkassen nun ihren Versicherten DocMorris und Co verstärkt ans Herz legen werden.

Jetzt ist die Frage, welchen Plan B die ABDA und die Bundesregierung haben. Ein Komplettverbot des Versandhandels mit Rx-Arzneimitteln wieder einzuführen, wäre zwar eine saubere, aber keine wirklich wahrscheinliche Lösung.

Um sich wirksam vom Versandhandel abzugrenzen und gegen einen ruinösen Preiskampf zu wappnen, wird u. a. ein deutlich schnelleres Tempo bei der flächendeckenden Umsetzung von eMedikationsplänen (unter Einbezug der Apotheke), Medikationsanalyse und Medikationsmanagement nötig sein. Natürlich kostendeckend honoriert! Wäre dies heute schon stärker etabliert, dann wäre die Deutsche Parkinson Gesellschaft vielleicht gar nicht auf die Idee gekommen, sich im Ausland nach einem „Partner“ umzutun. Eine gute interdisziplinäre Betreuung durch Arzt und Apotheke vor Ort ist schließlich das Beste, was einem als Patient passieren kann. Denn: Immer noch ist ein Arzneimittel keine Ware, sondern ein besonderes Gut, das ohne Beratung nur halb so gut wirkt.

Barbara Stücken-Neusetzer

ADEXA, Erste Vorsitzende

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