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16. Juni 2017

Pflege und Beruf kaum vereinbar - Die größte Last schultern Angehörige

Gebrechliche Menschen werden meist von ihren Partnern, von Kindern oder nahen Verwandten betreut – häufiger von Frauen als von Männern. Um dies zu bewerkstelligen, reduzieren Pflegende vielfach ihre Stundenzahl im Job. Später sind sie von Armut bedroht 

Um den aktuellen Pflegeaufwand zu erfassen, hat Volker Hielscher vom Iso-Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken mehr als 1.000 Haushalte mit pflegebedürftigen Menschen ab 65 Jahren befragt. Die Arbeit entstand im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung. Hielscher fand heraus, dass 63 Stunden im Regelfall pro Woche und Haushalt als Gesamtaufwand erforderlich sind. Dazu gehören u. a. allgemeine Betreuungsaufgaben (16,5 Stunden pro Woche), hauswirtschaftliche Tätigkeiten (13 Stunden), Körperpflege (7,7 Stunden), Mobilität (5,6 Stunden) und Ernährung (5,2 Stunden). 

Frauen stärker belastet  

Meistens gibt es eine Hauptpflegeperson, die im Durchschnitt knapp 50 Stunden pro Woche unterschiedliche Aufgaben übernimmt. Das sind häufig Töchter (29 Prozent) sowie Lebenspartnerinnen (26 Prozent), gefolgt von Lebenspartnern (22 Prozent) oder Söhnen (zehn Prozent). Mehr als die Hälfte aller Befragten verzichtete komplett auf externe Unterstützung.  

Diese Entscheidung bleibt nicht ohne Folgen. Rund ein Drittel aller Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter hat die Arbeitszeit im ursprünglichen Job reduziert, und 44 Prozent dieser Gruppe gehen keiner Erwerbstätigkeit nach. Nur sechs Prozent nutzen Möglichkeiten der gesetzlichen Pflegezeit. Damit riskieren Pflegende, später in die Altersarmut abzurutschen.  

Pflegekräfte – ein zweischneidiges Schwert  

Lediglich in jedem zehnten untersuchten Haushalt entscheiden sich Familien für Pflegekräfte als Alternative. Meist handelt es sich um Frauen aus Osteuropa, die auch vor Ort leben. Hielscher zufolge „scheint in der Praxis eine den arbeitsrechtlichen Mindeststandards entsprechende Beschäftigung dieser Kräfte kaum realisierbar“. Ist staatliches Wegsehen wirklich die Lösung? „Würde die Politik zu stärkeren Kontrollen greifen, um die Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitszeitbestimmungen sicherzustellen, würde sich die häusliche Rundumpflege weiter verteuern und die soziale Spaltung noch verstärken“, heißt es im Artikel.  

Ist die Pflegestufe einkommensabhängig?  

Dieser Effekt zeigt sich auch bei bürokratischen Fragestellungen. Wie Hielscher berichtet, erreichen Beratungsangebote – etwa zu Pflegestufen – Familien aus bildungsfernen Schichten nicht zur Genüge. Auffällig oft hatten Patienten aus einkommensstarken Familien höhere Pflegestufen als Menschen aus einem ärmeren Umfeld. Medizinische Gründe gibt es nicht. Deshalb bleibt die Vermutung: Gelingt es Angehörigen höherer Schichten vielleicht besser, gegenüber der Pflegeversicherung ihren Bedarf geltend zu machen? 

Michael van den Heuvel

Quelle

Volker Hielscher, Sabine Kirchen-Peters und Lukas Nock: Pflege in den eigenen vier Wänden: Zeitaufwand und Kosten. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen geben Auskunft, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 363, Juni 2017, online verfügbar unter http://bit.ly/2s2BEJM

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