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17. März 2020

Defizite und Fortschritte in der Gleichstellung - Aktuelle Studie auf Basis des WSI GenderDatenPortals

Geht es um die Erwerbsarbeit, sind Frauen „an Bord, aber auf einem anderen Deck als Männer“. Das schreiben drei Autorinnen und ein Autor im aktuellen Report des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

In ihrer Untersuchung zum derzeitigen Stand der Geschlechtergleichstellung in Deutschland betrachten sie die Bereiche Bildung, Erwerbsarbeit, Einkommen, Arbeitszeit, Sorgearbeit und Mitbestimmung. In jedem dieser Bereiche gebe es sowohl „punktuelle Hinweise auf Fortschritte“, sprich auf eine Verringerung des Ungleichgewichts, als auch „bedenklich stimmende Stagnation oder Rückschritte“.

Grundlage der Studie der WSI-Forscherinnen Yvonne Lott und Karin Schulze Buschoff sowie von Dietmar Hobler und Svenja Pfahl vom Berliner SowiTra-Institut bilden Daten aus dem WSI GenderDatenPortal (www.wsi.de/genderdatenportal). Hier ein Blick auf die Ergebnisse:

Bildung: Ähnlicher Start, verschiedene Wege

Beim schulischen Bildungsniveau haben Frauen die Männer bereits leicht überholt und beim Niveau der beruflichen Qualifikation fast aufgeschlossen, heißt es im Report. Frauen nehmen außerdem generell häufiger an Weiterbildungen teil als Männer – allerdings werden sie bei betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen seltener berücksichtigt!

Ein wichtiger Unterschied besteht nach wie vor in der Auswahl von dualen Ausbildungsberufen: Frauen entscheiden sich seltener als Männer für eine handwerkliche Ausbildung und eher für den Dienstleistungsbereich. Von den 25 Ausbildungsberufen mit den meisten Neuabschlüssen sind 12 männerdominiert, im Gegensatz zu sechs mit einem Frauenanteil über 70 Prozent. Auf Platz 2 und 3 in der weiblichen Gunst liegen hier übrigens die medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten mit je rund 98 Prozent Frauenanteil, auf Platz 4 folgt der Beruf der Friseurin (Frauenanteil 79 Prozent).

Erwerbsarbeit: Abstand noch 8 Prozent

Seit Beginn der 1990er-Jahre haben die Frauen mit einer Erwerbsbeteiligung von 72 Prozent stark gegenüber den Männern (80 Prozent) aufgeholt. Bei der Art der Erwerbsverhältnisse gibt es aber noch deutliche Unterschiede, zum Beispiel bei den Minijobs (Frauen: 62 Prozent) oder bei der Selbstständigkeit (Frauen: 34 Prozent).

Und so wie bei der Wahl der Ausbildungsberufe zeigt sich bei den 14 Berufssegmenten eine starke Aufsplittung in sieben männerdominierte Bereiche und lediglich drei frauendominierte: Gesundheitsberufe, Reinigungsberufe, soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe.
Bei der Arbeitsqualität unterscheiden die Autoren „klassische“ Belastungen wie schwere körperliche Arbeit und Lärm, denen eher Männern ausgesetzt sind, gegenüber anderen Arbeitsbelastungen (Zeitdruck, Unterbrechungen, emotionale Belastung), die stärker in den weiblichen Berufsfeldern auftreten.

Gender Pay Gap führt zum Gender Pension Gap

Leider sehr langsam verkleinert sich die geschlechtsbedingte Einkommenslücke auf aktuell 21 Prozentpunkte. Noch weiter klafft die Schere bei den Renten: Hier ging es von 1992 bis 2015 von 69 Prozent erst auf 53 Prozent zurück.
Ein Grund ist die Tatsache, dass Frauen mit 25 Prozent häufiger als Männer (14 Prozent) trotz Vollzeitarbeit ein Niedrigeinkommen von weniger als 2.000 Euro erhalten.

Frauen sind außerdem öfter als Männer auf die finanzielle Unterstützung von Angehörigen angewiesen und sehr viel seltener durch staatliche Transferleistungen abgesichert.

Teilzeit: Gender Time Gap

8,2 Wochenstunden arbeiten Frauen im Schnitt weniger als Männer. Dieser „Gender Time Gap“ ist von 2005 bis 2016 tendenziell gesunken, danach aber wieder leicht angestiegen.

Der Teilzeitanteil beträgt bei Frauen 46 Prozent, bei Männern nur 11 Prozent. Und: In Zweiverdiener-Haushalten mit Kindern sind 28 Prozent der Mütter, aber 95 Prozent der Väter in Vollzeit beschäftigt.

Arbeitszeiten außerhalb der Regelarbeitszeiten (wie Abend-, Nachtarbeit und Wechselschichten) sind eher „Männersache“ – mit Ausnahme von Samstagsarbeit, wo Frauen 4 Prozentpunkte „Vorsprung“ haben. Bei der Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist der Unterschied mit nur 1 Prozent gering.

Massive Schieflage: Haushalt, Kinder, Pflege

Auch einen „Gender Care Gap“ konstatiert die Studie: Frauen verbringen 45 Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit mit unbezahlter „Sorgearbeit“ für Familien und Haushalt. Bei den Männern beträgt der Anteil lediglich 28 Prozent.

Fast jede zweite berufstätige Frau ist nach der Arbeit so erschöpft, dass private und familiäre Dinge leiden; bei den Männern ist der Anteil mit 37 Prozent deutlich geringer. Frauen im Vollzeitjob mit Kindern (53 Prozent) oder pflegebedürftigen Angehörigen (65 Prozent) trifft dies noch einmal stärker.

Verbessert hat sich in den letzten zehn Jahren offenbar das Angebot an Ganztagsbetreuung für Kinder:  2017 betrug es bei der Altersgruppe von 3-6 Jahren 45,5 Prozent. Auch der Anteil der Väter, die Erziehungsgeld in Anspruch nehmen, steigt.

Betriebliche Mitbestimmung

In den von der Studie betrachteten DGB-Gewerkschaften beträgt der Frauenanteil 34 Prozent. Ein leichter Anstieg seit 2005 liegt am Rückgang der Zahlen männlicher Mitglieder.

In Betriebsräten sind Frauen mit 39 Prozent nur leicht unterrepräsentiert, wenn man den Belegschaftsanteil von 42 Prozent anschaut. Diese Tendenz verstärkt sich aber mit Blick auf den Betriebsratsvorsitz (Frauen nur 27 Prozent).

In der Privatwirtschaft sind Frauen mit 44 Prozent der Beschäftigten vertreten. In der zweiten Führungsebene sind sie mit 40 Prozent repräsentiert, in der ersten Führungsebene aber mit lediglich 26 Prozent noch deutlich zu wenig präsent.

Fazit aus ADEXA-Sicht

„Als typisches Berufsfeld für Frauen sind die Apotheken und ihre weiblichen Angestellten von diesen Geschlechterungleichheiten spürbar betroffen“, sagt ADEXA-Vorstand Tanja Kratt. „Gut ausgebildete Pharmazeutinnen arbeiten zu vergleichsweise niedrigen Gehältern und vielfach in Teilzeit. Sie müssen sich oft stärker als der Partner mit den Tücken der Vereinbarkeit von Familie und Beruf herumschlagen und sind im Alter vielfach nicht unabhängig ausreichend abgesichert. Der Fachkräftemangel wirkt sich da zwar nicht negativ aus, aber auch leider noch nicht so, dass die Tendenz deutlich positiv wäre.“ Aus Sicht der Gewerkschaft sind hier noch viele flankierende gesetzgeberische Schritte und ein Umdenken in der Gesellschaft nötig.

Sigrid Joachimsthaler

Quelle: WSI-Report Nr. 56, Februar 2020
 

 

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