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11. Dezember 2015

Teilkrankschreibung: praxisfern und sozial unausgewogen. Ein Kommentar von Barbara Stücken-Neusetzer

Der Sachverständigenrat (SVR) zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen rüttelt an einem Dogma: Waren Arbeitnehmer bislang zu 100 Prozent gesund oder krank, soll es künftig eine prozentuale Arbeitsunfähigkeit geben. Das empfehlen die Experten im Sondergutachten „Krankengeld – Entwicklung, Ursachen und Steuerungsmöglichkeiten“. Sie argumentieren, nicht jede Krankheit oder jeder Unfall führe zum Totalausfall eines Arbeitnehmers. ADEXA bewertet diesen Vorschlag kritisch.

Lassen sich Gesundheit oder Krankheit in Prozentangaben verpacken? Der Sachverständigenrat argumentiert, eine gewisse Arbeitsleistung erleichtere den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben. Ja und nein: Bereits heute ist eine stufenweise Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell* möglich – allerdings nicht in den ersten sechs Wochen. Ärzte raten vielmehr nach einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit zu entsprechenden Maßnahmen und stimmen den Eingliederungsplan mit dem Patienten ab. Darüber hinaus ist die Zustimmung von Arbeitgeber und Krankenkasse erforderlich. Für akute, kürzere Erkrankungen ist dieses Modell deshalb aus gutem Grund nicht vorgesehen.

Bei näherer Betrachtung wird es auch kaum gelingen, komplexe Krankheiten in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – wie vom SVR gefordert – auf eine einzelne Hauptdiagnose (nach ICD-10) zu reduzieren.

Kranke Mitarbeiter unter Druck

In den ersten sechs Wochen einer Erkrankung greift das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Bekanntlich dauern die meisten Krankschreibungen weniger lang. Die Kosten tragen in dieser Zeit prinzipiell die Arbeitgeber. Kleinere Betriebe mit weniger als 30 Mitarbeitern bekommen aber bis zu 80 Prozent aus dem Umlageverfahren zurück.**

Wenn ein „Teilzeitkranker“ künftig noch 50 Prozent arbeiten könnte, wäre das Unternehmen auch nur mit 50 Prozent der Entgeltfortzahlung (plus  50 Prozent des Gehalts für die reduzierte Arbeitsleistung) dabei. Dadurch stünden dann allerdings die Arbeitnehmer unter dem Druck, sich zu einem möglichst geringen Prozentsatz krankschreiben zu lassen.

Nach Ablauf dieser sechs Wochen würde das Modell des Teilkrankengeldes tatsächlich eine Entlastung der Kassen bedeuten. Denn wer halbfit wieder einsteigt, bekommt neben der anteiligen Kassenleistung auch einen Gehaltsanteil vom Arbeitgeber. Ob sich damit aber steigende Zusatzbeiträge der Kassen für die Versicherten wirklich vermeiden ließen, ist die Frage. Und diese Zusatzbeiträge zahlen bekanntlich allein die Arbeitnehmer.

Nicht konsequent zu Ende gedacht

Wie Arbeitgeber, speziell auch in Apotheken, die teilweise erkrankten Kolleginnen und Kollegen einsetzen sollen, bleibt ebenfalls unklar. Längere Pausen, weniger Stunden pro Tag oder weniger Zeit pro Woche? Bei den vielen Teilzeitstellen im Apothekenbereich scheint hier Chaos vorprogrammiert. Arbeitnehmer müssten teils lange Fahrzeiten in Kauf nehmen,  um dann lediglich ein paar Stunden zu arbeiten.  Von derart praxisfernen Ideen profitieren letztlich weder Angestellte noch Apothekenleiter.

Versorgung psychisch Erkrankter ausbauen

In die richtige Richtung gehen dagegen Forderungen des SVR, die psychotherapeutische Versorgung von Arbeitnehmern mit psychischen Erkrankungen zu verbessern. Hier ist in der Tat wegen der langen Wartezeiten bisher vielfach eine Unterversorgung zu befürchten.

Barbara Stücken-Neusetzer

*Hamburger Modell:  § 74 SGB V und § 28 SGB IX

** Umlageverfahren U1: Der Arbeitgeber zahlt in eine verpflichtende Entgeltfortzahlungsversicherung ein, aus der im Umlageverfahren Leistungen ausgeschüttet werden, wenn ein Mitarbeiter erkrankt.

Quellen

Sondergutachten des Sachverständigenrates: http://bit.ly/1lNXzj8

Beitrag bei DAZ.online: http://bit.ly/1NFAXvW

Übersichtsartikel zur stufenweisen Wiedereingliederung bei Wikipedia: http://bit.ly/1R9gJNy

 

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