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09. Mai 2015

Verschmelzen von Beruf und Privatleben birgt Gefahren: Work-Life-Blending – wollen wir das wirklich?

Work-Life-Balance ist out. Work-Life-Blending heißt der neueste Trend, wenn man aktuellen Veröffentlichungen im Internet und sogar in der pharmazeutischen Fachpresse* glauben darf. Aber ist die völlige Vermischung von Arbeit und Freizeit aus Sicht von Arbeitnehmern wünschenswert?

Work-Life-Balance – darin sehen Kritiker eine angebliche Aufspaltung in die böse, energiezehrende Arbeitswelt auf der einen Seite und das erholsame, inspirierende Privatleben auf der anderen. Dabei ist der Begriff erst einmal neutral. Sicher gibt es viele Arbeitsverhältnisse, die nur dem Gelderwerb dienen, aber ebenso auch viele, die Selbstbestätigung und Erfüllung bringen. Das gilt nicht nur für Künstler, Selbstständige und Akademiker. In der Regel dürften sich, von prekären und Niedriglohnarbeitsverhältnissen abgesehen, Lust und Frust im Beruf die Waage halten, Ausschläge nach beiden Seiten inbegriffen.

Das gilt ebenso für unser Privatleben: Auch das besteht nicht nur aus Erholung, sondern daneben aus jeder Menge an Haus-, Familien- und Beziehungsarbeit, gekrönt vielleicht noch von einem Ehrenamt. Das kann Kraft geben oder manchmal auch viel Energie verbrauchen, beispielweise bei der Pflege von Angehörigen oder beim Streit mit dem Partner oder den Kindern. Da ist man manchmal vielleicht sogar lieber am Arbeitsplatz als zuhause.

Beide Bereiche in Balance zu halten heißt daher nur, ausreichend Zeit für beide Lebenswelten zu haben.

Ungestörte Erholung

Um den unvermeidlichen Stress und die Anspannung bei der Arbeit auszuhalten, sind Phasen der Entspannung und Erholung nötig. Und zwar ungestört! Das gilt für den Feierabend, für das Wochenende und den Urlaub. Die Idee, als Arbeitgeber während der Geburtstagsfeier seines Kindes ein wichtiges Gespräch mit einem Mitarbeiter zu führen und dies als positiven Trend zu begreifen, ist absurd. Natürlich kann es Notfälle geben, bei denen man als Chef reagieren muss. Wer das aber zum Normalfall macht, bekommt hoffentlich den verdienten Ärger mit seiner Familie. Ähnliches gar von Angestellten zu verlangen, ist eine Schreckensvision. Es gibt sogar Arbeitgeber, die um drei Uhr nachts eine SMS absetzen, um noch was zum folgenden Arbeitstag zu sagen.

Wenn sich im angepriesenen Work-Life-Blending alles vermischt, werden die Regenerationszeiten ständig unterbrochen. Das ist der Wegbereiter für Burnout! Man schaltet nie richtig ab, sondern ist immer im Lauermodus: Es könnte ja eine wichtige E-Mail kommen, das Handy klingeln oder auch eine Idee im Kopf rumspuken, die dann sofort umgesetzt werden muss.

Workaholics sind keine Vorbilder

Bei abhängiger Lohnarbeit wiegt dies umso schwerer, wenn nicht richtig definiert ist, wann man ansprechbar sein sollte und wann nicht. Wer lässt denn ohne schlechtes Gewissen und Rechtfertigungsdruck das Handy am Abend klingeln, wenn der Chef dran ist? In Wirklichkeit ist man dann in ständiger Rufbereitschaft. Aus Arbeitgebersicht wäre das vielleicht schön, die Angestellten auch in ihrer Freizeit zur Verfügung zu haben, aus Arbeitnehmersicht aber ganz und gar nicht. Wenn schon Rufbereitschaft, dann zu entsprechenden Konditionen (sprich ein ordentlicher Lohnzuschlag und eben auch nie durchgehend, sondern zu festgelegten Zeiten). Natürlich ist es toll, wenn man seinen Job so gerne macht, dass man ihn nicht als Belastung ansieht.  Und vielleicht geht es dem einen oder anderen Arbeitnehmer dabei gut, wenn er regelmäßig am Wochenende und in den Ferien zu Hause Konzepte schreiben oder E-Mails beantworten kann. Für die große Mehrheit der Arbeitnehmerschaft gilt das aber auf keinen Fall. Wenn man von der Arbeit nicht loslassen kann und ständig Arbeitsthemen in die Freizeit und das Familienleben grätschen, nennt man so jemanden einen Workaholic. Und dahinter steht ein Krankheitsbild!

Trotzdem gibt es diesen Trend. Das hat aber selten etwas mit Freude an der Flexibilität und Erfüllung durch Arbeit zu tun, sondern eher mit hoher Arbeitsbelastung und (übertriebenem) Verantwortungsbewusstsein.

Zeit für Privates am Arbeitsplatz?

Und wie sieht es mit dem Blending am Arbeitsplatz Apotheke aus? Ist es erstrebenswert, dass Mitarbeiter außerhalb von Pausenzeiten ihre WhatsApp-Nachrichten und Facebook-Postings von Freunden abrufen? Gute pharmazeutische Arbeit für und mit Menschen braucht aus unserer Sicht Konzentration und Zuwendung. Nur so kann eine optimale Leistung entstehen. Für die Regeneration sind Pausen gut und notwendig – aber so lange kann und sollte die Neugier auf die Urlaubsfotos der allerbesten Freundin wohl im Zaum gehalten werden.

Dabei wollen wir keineswegs den tauben Ohren von Arbeitgebern für private Belange und Notfälle das Wort reden. Ganz im Gegenteil: die bettlägerige Mutter, die Theateraufführung der Tochter, die Beerdigung des Patenonkels – das sind Gründe, um im Team eine familiengerechte Lösung zu finden. Aber dann braucht man eben auch als Arbeitnehmer die Gewissheit, dass die Freizeit nicht von Anrufen und Mails unterbrochen und damit wieder Druck aufgebaut wird.

Denn in der Regel wird viel eher die Arbeit ins Private überschwappen als umgekehrt. Aus ADEXA-Sicht ist daher das Konzept Work-Life-Blending mit äußerster Vorsicht zu genießen. Letztlich dürften die Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter und die Arbeitsergebnisse negativ sein.

Michaela Freudenfeld
Dr. Sigrid Joachimsthaler

* Beitrag von Dr. Michael Madel in der AZ vom 4.5.2015

 

Definition: Work-Life-Blending

engl. blend: (ver)mischen, mixen, verschmelzen

„Work-Life-Blending beschreibt einen fließenden Übergang bzw. die Vermischung von Arbeits- und Privatleben, ermöglicht durch neue Technologien und dem Wunsch, selbstbestimmt agieren zu können.“  

Quelle: YouGov

 

Fast jeder zweite angestellte Akademiker in Deutschland, der entgrenzt arbeitet, ist am Ende des Arbeitstages erschöpft. Dagegen gibt nur jeder dritte klassisch Arbeitende an, häufig erschöpft zu sein.

Quelle: YouGov

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