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12. Januar 2015

Lebensphasenorientierte Arbeitszeiten - Teil 2: Familienarbeitszeit als sozialpolitische Vision

Politik, Unternehmen und Gewerkschaften beschäftigen sich nicht (nur) aus Political Correctness mit familienfreundlichen Arbeitszeiten. Dahinter steckt vielmehr die Angst vor einem eklatanten Fachkräftemangel.

Woher sollen die künftigen gut ausgebildeten Arbeitnehmer im Gesundheitsbereich, in der Industrie und im Dienstleistungsgewerbe kommen? Die Männer sind alle schon an Bord – und Unternehmen können sich keine neuen backen, so Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig auf einer familienpolitischen Tagung in Berlin. Frauen sind daher, neben Migranten und Menschen mit Behinderungen, die große Reserve im Arbeitsmarkt.

Mehr Balance führt oft zur Lohnlücke

Zwar ist der Anteil der Frauen, die berufstätig sind, in den vergangenen Jahren sehr gestiegen. Doch sind sie oft in Teilzeit oder Minijobs beschäftigt. Im Durchschnitt liegt ihr Wochenstundenpensum bei 19 Stunden. Das ist für viele unbefriedigend: Der Verdienst ist nicht hoch, die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten reduziert und die eigenen Rentenanwartschaften zu niedrig. Der Wunsch aufzustocken wird allerdings bei vielen Frauen dadurch ausgebremst, dass der Partner seine Arbeitszeit nicht reduzieren will oder kann. Gründe sind die durchaus realistische Befürchtung negativer Folgen für die Karriere und häufig auch mangelndes Verständnis beim Arbeitgeber. Dazu kommt die Lohnlücke, die sich oft auftut, wenn sie aufstockt und er seine besser bezahlte Tätigkeit reduziert. Das führt dazu, dass die Geschlechterbalance in den Familien nicht recht vorankommt. So wünschen sich zwar 60 Prozent der Paare mit Kindern unter drei Jahren, dass beide etwa gleichviel beruflich arbeiten und sich in die Erziehungsarbeit einbringen können. Aber nur 14 Prozent gelingt das auch.

Vollzeitnah, aber ohne finanzielle Abstriche

Ein Modell, das dieses Dilemma auflösen könnte, ist die sogenannte Familienarbeitszeit: eine vollzeitnahe Arbeit ohne finanzielle Einbußen und ohne Einschränkungen für die berufliche Karriere. „Das geht ja gar nicht“ – so das erste Echo auf diesen Vorstoß, erinnert sich Schwesig. Inzwischen gibt es aber auch auf Arbeitgeberseite Überlegungen zu diesem Modell. Unterschiedlich sind vor allem die Vorstellungen über die Stundenzahl, bei  der sich die Familienarbeitszeit einpendeln soll: Während der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) für 35 Stunden plädiert, denkt die Familienministerin an 32 Stunden und die IG Metall peilt 30 Stunden an. Je nach Höhe der Vollzeit sind das also etwa 80 Prozent oder etwas darüber.

Hier müssen sicher noch ähnlich dicke Bretter gebohrt werden wie beim Mindestlohn. Doch die Zeit arbeitet für solche Modelle von mehr Geschlechtergerechtigkeit. Denn die demografischen Änderungen werden immer stärker spürbar. Schwesig betont, dass eine väterorientierte Personalpolitik in diesem Jahr ein Schwerpunkt ihres Hauses sein wird. Nicht Mütter gegen Väter, sondern Gleichstellung lautet das Motto. Und: Gewerkschaften und Betriebsräte seien bei der Diskussion und Umsetzung unverzichtbar, so die Ministerin.

Erste Bausteine sind gelegt

Mit dem Elterngeld Plus und der Familienpflegezeit kann Schwesig erste Erfolge verzeichnen, die allerdings zum Teil nur in größeren Unternehmen wirksam werden. So lässt sich für Kinder ab Geburtsdatum 1.7.2015 die Zeit des Elterngeldbezugs auf bis zu 24 Monate ausdehnen. Dann allerdings gibt es auch nur die Hälfte der Leistung pro Monat gegenüber den bisherigen zwölf Monaten. Mütter und Väter, die für vier Monate gleichzeitig 25-30 Stunden arbeiten, bekommen vier Partnerschaftsmonate als Bonus dazu, damit verlängert sich der Zeitraum auf insgesamt 28 Monate.

Auch auf das am 19.12.2014 verabschiedete Gesetz zum Kita-Ausbau wies Schwesig hin. Hier gehe es künftig darum, die Betreuungsqualität zu verbessern und u. a. die Randzeiten noch besser abzudecken. Allerdings sprach sich die Ministerin auch klar gegen 24-Stunden-Kitas aus. Denn mit solchen Rundum-Betreuungsangeboten würde letztlich meist nur das Ziel verfolgt, dass „die Verkäuferin künftig auch sonntags arbeiten kann“. Auch DGB-Vizechefin Elke Hannack kritisierte, dass sich hinter angeblich familienfreundlichen Maßnahmen oft nur der Wunsch nach unternehmerischer Flexibilisierung verberge.

Eine Errungenschaft, die allen Arbeitnehmern unabhängig von der Betriebsgröße zugutekommt, ist die zehntägige Lohnersatzleistung bei akutem Pflegebedarf von nahen Angehörigen. Dabei ist die Definition der Angehörigen modernisiert und den tatsächlichen Familienstrukturen besser angepasst worden.

Nur Mitarbeiter in Betrieben mit sechzehn und mehr Beschäftigten haben dagegen einen Rechtsanspruch auf die Familienpflegezeit: Für maximal sechs Monate kann man sich ganz oder teilweise freistellen lassen und ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragen. Sind Angehörige länger pflegebedürftig, kann bis zu 24 Monate auf 15 Wochenstunden reduziert werden. Mehr Infos dazu auf www.wege-zur-pflege.de.

Im nächsten Teil der Serie geht es unter anderem um ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit sowie die negativen Auswirkungen von nicht sozialversicherungspflichtigen Minijobs.

Dr. Sigrid Joachimsthaler

Teil 1: Tarifliche und betriebliche Vorreiter

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