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29. Oktober 2019

Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig: Mindestlöhne müssen oberhalb der Armutsgrenze liegen

Sollen gesetzliche Mindestlöhne ein nach unten offenes Lohndumping verhindern und damit den Wettbewerb zwischen Unternehmen in halbwegs faire Bahnen lenken. Oder sollen sie den Beschäftigten auch ein „anständiges Leben“ jenseits des bloßen Existenzminiums ermöglichen? Eine Studie zeigt: Europaweit muss noch viel getan werden, damit sich Mindestlohnbezieher über der Armutsgrenze wiederfinden.

Wer 60 Prozent des mittleren Lohns verdient, der befindet sich laut Armutsforschern an der Schwelle zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Doch nur wenige europäische Länder wie Frankreich oder Portugal haben mit ihrem gesetzlichen Mindestlohn dieses Ziel erreicht. Deutschlands Mindestlohnempfänger kommen nur auf knapp 48 Prozent, in Spanien sind es gar nur 40 Prozent (Stand 2017).   

Thorsten Schulten, Mindestlohnexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), und Torsten Müller vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut zeigen in ihrer Studie, wie das Konzept von „Living Wages“ in verschiedenen  Ländern wie den USA, Großbritannien oder Spanien genutzt wird, Armutslöhne zu verhindern.

Löhne zum Leben

Ein „Living Wage“ soll wirklich zum Leben reichen, nicht nur für das bloße Überleben oder gar nur mit zusätzlichen staatlichen Unterstützungsleistungen. Der Begriff wurde 1994 im US-amerikanischen  Baltimore, Maryland, geprägt. Unternehmen, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen oder Fördergelder beantragen wollten, mussten dort Gehälter bezahlen, die 70 Prozent über dem Mindestlohn lagen. Von Baltimore hat sich diese von Kirchen und Gewerkschaften gestartete Initiative in den USA und auch in Europa verbreitet.

Ein Beispiel: In Großbritannien können sich Firmen von der Living Wage Foundation zertifizieren lassen, wenn ihre Mitarbeiter Gehälter von mindestens 10 Prozent oberhalb des Mindestlohns erhalten (derzeit ₤ 9,00). In London müssen es, aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten, sogar 30 Prozent mehr sein (₤ 10,55).

60 Prozent als EU-Ziel vereinbaren

Auch in Deutschland müsste sich in Sachen Mindestlohn etwas bewegen, wenn die Marke von 60 Prozent des Medianlohns (der sogenannte Kaitz-Index) erreicht werden soll, sagen die Autoren. Gewerkschaften fordern als nächste Stufe 12 Euro pro Stunde. Schulten und Müller empfehlen außerdem, diese Orientierungsgrenze in der gemeinsamen Wirtschaftspolitik der EU-Länder zu berücksichtigen.

Quelle: Böckler Impuls Ausgabe 16/2019

Thorsten Schulten, Torsten Müller: What’s in a name? From minimum wages to living wages in Europe, Transfer 3/2019, September 2019

Mehr Infos: www.livingwage.org.uk


„Kein Unternehmen, das nur existieren kann, wenn es seinen Arbeitern Löhne zahlt, von denen sie nicht leben können, hat irgendein Recht, seine Geschäfte in diesem Land fortzusetzen.“

US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1933 bei der Einführung des Mindestlohns in den USA
Zitiert nach Böckler Impuls Ausgabe 16/2019

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